Die Suche nach
dem "einfachsten" chaotischen System
Alle diese mechanischen Systeme eignen sich für eine quantitative
Behandlung des Themas „Deterministisches Chaos" im Physikunterricht kaum,
da sie sowohl experimentell als auch theoretisch zu schwierig zu handhaben
sind.
Andererseits ist bekannt, dass schon sehr einfache mathematische Modelle
zur Entstehung des Chaos befähigt sind. Neben der Mandelbrot-Iteration
ist die logistische Gleichung sicher das einfachste Beispiel für
das chaotische Verhalten eines nicht-linearen Modells.
Die logistische Folge („Verhulst-Dynamik")
xn = r xn (1 - xn)
führt für r > 3.57 bekanntlich zu einem nicht-vorhersagbaren
Verhalten der Folge xn :
Der Übergang ins Chaos erfolgt dabei in der charakteristischen
Art der „Periodenverdopplung" . Am deutlichsten lässt sich dieses
Verhalten im so genannten „Bifurkationsdiagramm" beobachten. Man trägt
hier über jedem r-Wert die Folge der xn (von einem bestimmten
n-Wert an, z.B. n>100) auf.
Dabei folgen die „Bifurkationspunkte" einem universellen Gesetz. Ihr
Abstand wird mit wachsendem r immer kleiner. Die Abstände Di
zwischen aufeinander folgenden Bifurkationspunkten werden bei jeder Bifurkation
etwa um einen Faktor vier kleiner. Im Grenzwert gilt das Feigenbaum-Gesetz:
mit einer Konstanten f („Feigenbaum-Zahl"), die für eine
große Klasse von chaotischen Systemen den universellen Wert
f = 4.669.. hat.
Lässt sich in der Physik ein ähnlich einfaches System finden?
Das mathematische Pendel bei großem Ausschlag
Die bisher betrachteten Systeme zeigen, dass für die Entstehung
von Chaos zumindest zwei Punkte entscheidend sind: Das System muss nicht-linear
sein und es sollte einen „kritischen Punkt" besitzen. Beide Bedingungen
erfüllt das mathematische Pendel offensichtlich. Die dynamischen Gleichungen
Ds / Dt = v,
Dv / Dt = - m
g sin ( s / l)
sind nicht-linear, und das Pendel besitzt bei s = l p
einen kritischen (Überschlags-) Punkt. Betrachten wir das dynamische
Vektorfeld im Phasendiagramm:
Für kleine Auslenkungen und Geschwindigkeiten ergeben sich offensichtlich
geschlossene, also periodische Phasenbahnen. Der kritische Punkt (l p
| 0) und zwei kritische Phasenbahnen wurden vergrößert herausgezeichnet.
Man erkennt, dass das System trotz der beiden Bedingungen „Nicht-Linearität"
und „kritischer Punkt" keine Neigung zum Chaos hat.
Wie kommt das?
Das Poincaré - Bendixson - Theorem
Dieses Theorem besagt i.w.:
Chaos in kontinuierlichen System ist erst ab einer Dimension von
dim = 3 des Phasenraums möglich.
Kontinuierliche System sind dabei solche, bei denen die Bewegung des
Phasenpunktes im Phasenraum durch eine stetige Bahn, und nicht, wie bei
der logistischen Gleichung, durch eine diskrete Folge beschrieben wird.
Offensichtlich können solche diskreten Systeme schon bei dim = 1 chaotisch
sein. Systeme der klassischen Physik sind natürlich immer in diesem
Sinne kontinuierlich.
Was ist der anschauliche Grund für dieses Theorem?
Betrachten
wir dazu einen 2-dimensionalen Phasenraum. Er möge, damit Chaos entstehen
kann, einen kritischen Punkt besitzen. Trifft die Phasenbahn z.B. links
der kritischen Linie auf, dann bewege sich das System nach links, im anderen
Falle nach rechts. Chaos entsteht, wenn die Phasenbahn diesem kritischen
Punkt nach einer Weile immer wieder begegnet. Sehr kleine Änderungen
der Anfangsbedingungen führen in diesem Falle dazu, dass eine exakte
Vorhersage darüber, welche Seite das System beim nächsten Mal
passieren wird, unmöglich wird.
Genau diese wiederholte Begegnung des Systems mit der kritischen Stelle
des dynamischen Vektorfeldes sind aber im zweidimensionalen Fall unmöglich.
Hat das System, wie skizziert, den rechten Weg genommen, dann müsste
es, um dem kritischen Punkt ein zweites Mal zu begegnen, seine eigene Bahn
überschneiden. Das ist aber auf Grund der Definition des Phasenraums
ganz unmöglich, da von einem Punkt der Phasenbahn nur genau ein definierter
weiterer Verlauf möglich ist. Man sieht, dass zweidimensionale Systeme
sich sozusagen selbst den Weg abschneiden. Diese Beschränkung gilt
ersichtlich nur für kontinuierliche Systeme, ein diskretes System,
dessen „Phasenbahn" aus einzelnen Punkten besteht, kann ja über seine
eigene Bahn „hüpfen".
Der Lorenz - Attraktor
Die oben angestellten Betrachtungen lassen sich gut beim Lorenz -
Attraktor demonstrieren. Das DGL-System des Lorenz - Attraktors wurde
1963 von E.N. Lorenz zur Beschreibung eines meteorologischen Systems aufgestellt:
dx/dt = a ( y - x )
dy/dt = b x - y - y z
dz/dt = x y - c z
Es ist dreidimensional, nicht-linear und zeigt, wie Lorenz damals feststellte,
chaotisches Verhalten. Die folgende Phasenbahn wurde für
a = 3; b = 26.5; c = 1; x(0) = z(0) = 0; y(0) =1 gerechnet.
Chaos entsteht in diesem System dadurch, dass der Phasenpunkt in unvorhersagbarer
Weise zwischen zwei „Scheiben" im Phasenraum hin- und herspringt. Die beiden
Scheiben werden offensichtlich durch eine kritische Struktur (Linie, Ebene?)
voneinander getrennt. Das System begegnet dieser Struktur immer wieder,
was nur dadurch möglich ist, dass es nach dem Durchlaufen einer „Scheibe"
immer wieder in die dritte Dimension ausweicht:
Konsequenzen für die Physik
Wir sehen, dass das „einfachste" chaotische System einen dreidimensionale
Phasenraum haben muss. Das Pendel erfüllte diese Bedingung nicht.
Man kann nun einen weiteren Freiheitsgrad einführen. Man gelangt
so z.B. zum Doppelpendel, das sich eindeutig chaotisch verhält. Die
Einführung eines solchen zusätzlichen Freiheitsgrades erhöht
aber die Dimension des Phasenraums um 2, da für jeden Freiheitsgrad
die Angabe von Orts- und Impulskoordinate notwendig ist. Das „Tassenproblem"
zeigt uns die Lösung: Man kann als zusätzliche Dimension die
Zeit verwenden. Im Falle eines mechanischen Systems kann das am einfachsten
durch eine äußere Kraft geschehen. Die einfachsten chaotischen
Systeme werden demnach eindimensionale Systeme mit Antrieb sein. Die erwünschte
Beschränktheit des Phasenraums führt dann folgerichtig zu einer
erzwungenen, gedämpften nicht-linearen Schwingung.
Inhalt
Chaotische
Systeme
Ein
neues Schulexperiment zum Chaos
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