Das ‚Adagio’ aus der C-Dur-Toccata für Orgel von J. S. Bach, das Sie gerade gehört haben, hat für meinen verstorbenen Freund Achim und mich eine besondere Bedeutung:

Ich habe mit Achim unendlich viel musiziert; so viele gute Flötensonaten gab es aber nicht - irgendwann brauchten wir Neues. Wir haben dann Werke, die uns besonders gefielen, für Flöte bearbeitet, z. B. dieses Adagio von Bach, das ja von besonderer Eindringlichkeit ist. – Wir waren damals recht anspruchsvoll, was die Musik anging;
wir stellten aber auch hohe Ansprüche an uns selbst bei der Interpretation dieser Musik.

Solche Ansprüche stellte ich schon, als ich Achim noch nicht kannte. So war ich auch einigermaßen skeptisch, als unser Musiklehrer am Gymnasium Schauertestr. in Deutz mich bat, für die musikalische Weihnachtsfeier der Schule einen Jungen, der Blockflöte spielte, zu begleiten. Ich war damals, Dezember 1956, in der Unterprima, so nannte man damals die 12;
der Junge mit der Blockflöte war 6 Jahre jünger. Ich sehe den 12-Jährigen noch vor mir mit seiner Pudelmütze und der Blockflöte.
Bei der Probe verschwand die Skepsis, im Gegenteil:
ich kam aus dem Staunen nicht heraus,
ich glaubte, mit einem Wunderkind zu musizieren: da war alles perfekt.
Er kam mir etwas altklug vor, aber rasch merkte ich, dass er wirklich klug war.
Gut erinnere ich mich aus jener Zeit an den Stolz des Großvaters, mit dem dieser mir Achims kleine Kompositionen für die Blockflöte zeigte.

Später, als Achim dann zur Querflöte übergewechselt hatte, haben wir auch bei ‚Jugend musiziert’ mitgewirkt,
und es wurden von Achim als Preisträger auch Rundfunkaufnahmen gemacht.
Eine Zeitlang hat Achim sogar überlegt, ob er nicht Berufsmusiker werden sollte.

Zurück zu dem 11/12-Jährigen: Ich engagierte diesen Wunderknaben dann auch gleich für die weihnachtliche musikalische Andacht in der Kirche, in der mein Vater Organist war.
Es wurde dann für viele Jahre Tradition, dass wir Weihnachten eine solche musikalische Andacht gestalteten; Achims Mutter kam dann mit und auch die Großeltern.

So entstand unsere Freundschaft. Der Altersunterschied wurde mit den Jahren unwichtig;
irgendwann war Achim dann sogar der Dominierende,
vor allem wegen seines hohen Intellekts und scharfen Verstands, der nichts gelten ließ,
was nicht bis ins letzte durchdacht war.
Das war faszinierend, manchmal auch quälend.
Ich studierte u. a. Philosophie, und wir diskutierten nächtelang und mit viel Bier,
bis er mir die Metaphysik wegseziert hatte.
Zusammen mit seiner Mutter erreichte er bei mir auch eine Wende vom politisch Ungebildet-Konservativen zum Sozialliberalen - auch das ging nicht ohne Heftigkeit ab.

Und immer wieder Musik.
Er hatte die technischen Möglichkeiten, z. B. schon früh ein Tonbandgerät
und viele Schallplatten, und ich habe davon profitiert.

Auch daran erinnere ich mich als sei es heute: An einen gemeinsamen Urlaub in Unkel am Rhein, es war kurz vor meinem ersten Staatsexamen:
wenn wir nicht im Schwimmbad lagen und uns um die Unkeler Mädchen kümmerten,
hörten wir von seinem Tonband Brahms, immer wieder Brahms.
Mittlerweile tranken wir nicht mehr Bier, sondern Wein, auch den nicht zu knapp.

Immer werde ich mich daran erinnern, wie er mir bei sich zu Hause - wir wollten den Geburtstag seiner Mutter feiern - das Zweite Klavierkonzert auflegte. Ich hörte es damals zum ersten Mal.
So etwas ist unvergesslich.

Urlaube haben wir noch manche miteinander verbracht, später auch mit den Familien,
z. B. in den Dolomiten. Da bin ich auch mit ihm geklettert.
Als ich mich dann einer Gletscherwanderung verweigerte, war das ein Stück Emanzipation.
Auch das Eigenständigwerden konnte, musste man bei ihm lernen.

Auch bei einer weiteren Liebe Achims wurde ich eingespannt. Achims erste Sternwarte errichteten wir auf dem Turm jener Kirche, in der wir immer musizierten.
Es war mühsam: viele Eimer mit Sand und Zement mussten für ein stabiles Fundament hochgezogen werden. Trotzdem habe ich nie einen wissenschaftlichen, sondern immer nur einen romantischen Bezug zum Sternenhimmel gehabt.

Oben auf dem Turm das kleine Observatorium -  in der Kirche die Musik.
Es blieb nicht bei den musikalischen Andachten; auch sonst wurde viel musiziert an den kirchlichen Festtagen.
Es kamen dann auch Musiker, die heute ein großes Renommee haben, wie Rainer Moog und Johannes G. Fritsch,
und Achim musizierte mit ihnen auf hohem Niveau, z. B. Mozarts Flötenquartette.
Und wenn es für die eine oder andere Messe, etwa von Bruckner oder Schubert, keine Flötenstimme gab, schrieb ich ihm eine, weil er einfach dazugehörte.
So musste er selbstverständlich auch bei einer Konzertaufführung der Krönungsmesse dabeisein:
Bei einer solchen Konzertaufführung durfte ich natürlich keine Flötenstimme dazuerfinden;
und also übernahm er den Part des Paukisten.
Ich höre mir diese Aufnahme immer wieder mal an, mittlerweile auf CD gebrannt.
Er hat diesen Part souverän gemeistert wie das meiste in seinem Leben.
Es gab nur einen falschen Paukenschlag unter den vielen richtigen.
Der aber war heftig und nicht zu überhören.
Auch das nicht untypisch für Achim.

Alles in allem: Er hat mich sehr bereichert, meinen Horizont erweitert, mein Leben mitgeprägt, ohne Achim wäre ich nicht der, der ich heute bin – dafür danke ich.