Traueransprache für Dr. Joachim Bolz


Liebe Frau Bolz, liebe Familie, liebe Verwandte, Freunde und Bekannte des Verstorbenen, liebe Trauergemeinschaft.

Wir haben uns heute hier in der Kirche Scheider Höhe versammelt, um Abschied zu nehmen von Dr. Joachim Bolz. Er verstarb, wie sie alle wissen, an den Folgen eines tragischen Unfalles, der sich vor nunmehr einem halben Jahr ereignete.
Es gibt Begriffe, die durch ihre ritualisierten Verwendungen drohen, zu hüllenlosen Floskeln zu entarten. Dennoch vermögen sie, ernstgenommen, eine Sach – oder Gefühlslage durchaus stimmig zu bezeichnen. Ein solcher Begriff ist die Formulierung „Betroffenheit“. Mit Betroffenheit haben wir die Nachricht von seinem Tod erhalten, wiewohl die meisten ahnten oder damit rechnen mussten, dass die gravierenden Verletzungen letztendlich sein Ableben herbeiführen würden.

Mit Bestürzung vernahmen wir am 11. September des Vorjahres die Nachricht von dem Unglücksfall; einige der hier Versammelten waren in diesen Minuten ganz in seiner Nähe, ohne jedoch die eigentlichen Abläufe wahrnehmen zu können, geschweige denn ohne die Möglichkeit, bei dem Absturz von dem Felsen helfend eingreifend zu können. An diesem Tag – einem wunderschönen Spätsommertag – befand sich das Lehrerkollegium auf einem Ausflug an die Ahr;  Achim Bolz   unternahm mit einer kleinen Gruppe von Kollegen eine  Wandertour, die auf einem Umweg zum gemeinsamen Treffpunkt in einer Winzerei führen sollte. Noch heute empfinde ich die Vorgänge in den Kellergewölben dort, als wir – wie es so heißt, in „gemütlicher Runde“ beisammen saßen - als grotesk und  absurd : z.T. vor und dann auch während der Weinprobe, unter Ansage des jeweils kredenzten nächsten  Tropfens erreichte uns über Handy die jeweils neueste Hiobsbotschaft aus dem Krankenhaus, in das der schwer Verletzte transportiert worden war und zugleich trafen dann auch noch die Meldungen über die Anschläge in New York und Washington bei uns ein.

Was sich aufgrund der ersten Mitteilungen schon schemenhaft andeutete, erwies sich leider in den nächsten Tagen als Gewissheit: Achim Bolz war schwer verletzt, so schwer, dass auch die ganze Kunst der Ärzteschaft und die hoch entwickelte Apparatemedizin zunächst nur ein physisches Weiterleben  sicherstellen konnten, aber keine Aussicht auf eine – und dies sei mit aller Vorsicht geäußert – menschenwürdige Existenz zu eröffnen vermochten. Von dort aus mag, ja muss es sogar gewertet werden, wenn das nun eingetretene Dahinscheiden – auch von den engsten Angehörigen – als eine „Gnade“ und „Erlösung“ angesehen wird. Er war bis zu den letzten Tagen  wohl noch ansprechbar , er nahm wahr und konnte  sich mit Augenreaktion verständigen. Er ist mit Bewusstsein in den Tod hinübergeglitten; um mit den Worten eines Freundes zu sprechen: Er ist immer weniger geworden.

Die Stunde des Abschiednehmens und des sich Trennens bringt es mit sich, dass man zugleich nochmals, gleichsam als Gegenbewegung, an das Leben und die Persönlichkeit des Verstorbenen heranrückt.

Gespräche mit der Familie und Freunden halfen mir, der ich Achim  Bolz im Grunde nur aus unserem beruflichen Kontakt kannte, bei diesem Annähern. Mir lag auch ein Aktenordner des Verstorbenen vor, den ich mit dem flauen Gefühl, zu erkennen, dass sich ein Teil eines Menschenlebens – säuberlich abgeheftet und geordnet zwischen 2 Aktendeckeln – pressen lässt, durchlas. Zugleich vermittelten mir die Unterlagen aber auch bruchstückhaft sehr persönliche Einblicke in  Ausschnitte aus diesem Leben.

Annäherung , 1. Schritt
Versuch der Annäherung über die Zeit:

Achim  Bolz wurde am 27. Juli 1944 als erstes und einziges Kind seiner Eltern (der Vater war Diplomkaufmann und seine Mutter zu diesem Zeitpunkt noch Studentin im Historischen Seminar in Köln, sie promovierte 1958 in Köln als Ethnologin) in Neustadt/ Schwarzwald geboren. Dorthin war er mit seiner Familie wegen des Kriegsverlaufs evakuiert. Sein Vater fiel schon 5 Tage nach seiner Geburt als Soldat in Polen, so dass er ohne Vater aufwuchs, weitgehend geprägt und erzogen wurde durch seine Großeltern.

1948 zogen er und seine Mutter zu den Großeltern nach Bonn, wo er die Klemens-August-Volksschule besuchte. Wohl aus dieser Zeit stammen einige Unterlagen, die ich in jenem besagten Aktenordner gefunden habe und die meines Erachtens schon deutlich  Konturen der  Neigungen und der Persönlichkeit des Verstorbenen umreißen. So heißt es im Zeugnis des 3. Schuljahres unter Bemerkungen: „Achim hat mit Bewilligung des Schulamtes die 3. Klasse übersprungen“ .(Es sei hier nur ein einziges Mal in dieser Ansprache darauf verwiesen, dass in seinem gesamten Bildungsgang nur erstklassige Noten  vermerkt sind). Weiter lautet die Eintragung: „Er ist ein heiterer, entschlußfreudiger Junge mit ausdauernder Aufmerksamkeit, sachlichem Denken und ein sehr guter Kamerad“. Aus jener Bonner Zeit stammt auch ein Weihnachtswunschzettel , der ebenso unverkennbar die Richtung markiert, auf die hin sich Joachim Bolz bewegte. Mit säuberlicher Kinderhandschrift  heißt es  da: „Liebes Christkind! Ich wünsche mir einen Metallbaukasten, einen Werkzeugkasten für die Mecanic-Sachen und einen Federmotor.Wenn es nicht zuviel ist, bitte auch noch ein schönes Buch.

Im Jahre 1953 siedelte die Familie nach Köln um, wo der Neunjährige das neusprachliche Gymnasium Köln – Deutz besuchte, um 1963 dort die Reifeprüfung abzulegen. An dieser Schule, an der er auch 2 Jahre das Amt des – wie es damals hieß –  „Schulsprechers“ ausübte, mussten die angehenden Abiturienten  offensichtlich als Deutsch - Arbeit einen schriftlichen „Bildungsgang“ verfassen. Der Primaner  betonte  in seiner Darlegung seine Zuneigung zur bildenden Kunst und seine Liebe zur Musik; so hatte er in den Jahren 1957 – 1961 eine Freistelle an der Rheinischen Musikschule Köln, wo er auch im Spiel der Konzertflöte ausgebildet wurde. In diesem „Bildungsgang“ wurden ferner noch  Interessensgebiete genannt, für die er offensichtlich entflammt war, und zwar in der nachgenannten Reihenfolge: die Biologie bzw. Zoologie , Physik und Astronomie und als „Ausgleich für die geistigen Anstrengungen ... das Sportfechten“. Sie alle, die Achim Bolz kennen, wissen, dass er diesen Neigungen treu geblieben ist.

Nach seiner Schulzeit studierte er ab 1963 an der Universität zu Köln Physik, beendete 1971 seine Diplomarbeit und promovierte 1975 (als Abschluss seiner Arbeit am Institut für Festkörperforschung der Kernforschungsanlage Jülich) mit dem Thema: „Mößbauereffekt von 119 Sn in amorphen supraleitenden Metallen.“ Auch wenn ich nicht annähernd verstehe, was sich hinter diesem Titel verbirgt, so sei es gestattet,meiner Faszination durch das Zitieren des Themas Ausdruck zu verleihen.

Die Mitarbeit an der Kernforschungsanlage Jülich dauerte bis 1977, bis er dann als Studienreferendar am Bezirksseminar II in Köln beruflich umsattelte. Ein Grund für dieses Überwechseln – so sagte mir Frau Bolz – sei , außer der ungünstigen Vertragssituation, das Gefühl ihres Mannes, dass er nur bei 100-prozentigem Einsatz für die Experimentalphysik in Jülich seinen eigenen Ansprüchen Genüge tun würde, dass aber seine anderen Interessensgebiete darunter zu leiden hätten, und dies wollte er nicht.

Nach seiner zweiten Staatsprüfung für das Lehramt an Gymnasien unterrichtete er zunächst am Apostelgymnasium in Köln, bevor er ab Sommer 1984 am Paul – Klee – Gymnasium in Overath seine letzte Dienststelle antrat.

Nicht vergessen werden soll in der Chronologie, dass Achim Bolz eine Bekanntschaft, die er als Fechtsportler gemacht hatte, vertiefte und so ausbaute, dass sie seit 31 Jahren festen Bestand  hatte: Er heiratete 1971 seine Frau Ruth; 1976 wurden ihre Tochter Veronika und 1979 ihr Sohn Adrian geboren.

Annäherung; 2. Schritt
Versuch der Annäherung über den Raum

Im gesamten Gebäude des Paul – Klee – Gymnasiums gibt es wohl kaum eine räumliche Umgebung, die so sehr von der Persönlichkeit des dort Beschäftigten zeugt wie der naturwissenschaftliche Trakt, genauer gesagt  die Räume der Physik. Schon die Wände des Eingangsflures demonstrieren in einer Vielzahl von Schaubildern, Photos etc. seine Affinität zur Welt des Mikrokosmos, aber auch des Universums. Dieser Eindruck setzt sich fort, wenn man die eigentliche Sammlungsleitung betritt; hier zeigt sich ein Bild, das zugleich den Eindruck von Chaos und Ordnung vermittelt (für Physiker ja keine sich ausschließende Größen); Vitrinen, Schränke, Schubladen, Schachteln und Dosen sorgen für sortierte Gesetzmäßigkeit, der dortige Arbeitsplatz bietet sich als eine Mischung von Tüftlerwerkstatt und Informatikerarbeitsplatz dar.(Einen ganz ähnlichen Eindruck vermittelt im übrigen sein privates Arbeitszimmer hier in Scheiderhöhe, nur dass dort auch noch der Nachweis seiner übrigen Steckenpferde augenscheinlich wird.)

Die Physiksammlung wurde von ihm nicht nur verwaltet, sondern mit Herzblut ständig erweitert. Nicht zuletzt  seine „Basteleien“, die – vielfach hergestellt aus Alltagsmaterialien –  der Schule  halfen, Geld zu sparen, sorgten  in ihrer  verblüffenden  Reduktion auf das Wesentlich nicht nur für Aufsehen bei den Schülern und für lebendige Anschaulichkeit im Unterricht , sondern auch im Kollegium für Gesprächsstoff. Wenn im Lehrerzimmer „Demonstrationen“ der Bastelergebnisse stattfanden, bildete sich schnell ein Kreis neugieriger Kollegen. Manche dieser Gerätschaften haben nachhaltigen Legendenwert.

Achim Bolz war seit 1986 Sammlungsleiter und Fachvorsitzender des Fachbereiches Physik und es ist sein Verdienst, dass die Physik-Sammlung des Paul – Klee – Gymnasiums vorbildlich ist. Sein Wirken hat auch in anderen Teilen des Gebäudes seine sichtbaren Spuren hinterlassen; verwiesen sei hier nur auf  die Wettersatellitenstation. Doch sein Traum einer Sternwarte auf dem Dach des Neubaus, für den er schon mit Hilfe des Fördervereins notwendige optische Geräte angeschafft hatte, musste wegen der Aufstockung dieses Gebäudes leider ein Traum bleiben.

In seinem von ihm kurz vor dem Abitur verfassten „Bildungsgang“ schrieb er: „Die Entwicklung meines Berufswunsches ist mit der Entwicklung meiner Freizeitbeschäftigungen eng verknüpft. Das hängt wohl damit zusammen, dass ich meinen Beruf einmal wie ein mit Liebe betriebenes Hobby ausüben möchte.
Dieser Wunsch ist für ihn erlebte Realität geworden.

Seiner Leidenschaft für die Physik vermochte er außer im eigentlichen Unterricht insbesondere in  der von ihm gegründeten und geleiteten  „Arbeitsgemeinschaft Jugend forscht“ zu frönen,  mit der er nicht nur sehr erfolgreich arbeitete (was die vielen Preise für die Schüler unseres Gymnasiums nachweisen), sondern in der auch der Funke seiner  Begeisterung auf die Schüler der unterschiedlichsten Altersstufen  übersprang.

Diese Anmerkungen – wiewohl sie sich mit anderen Beispielen fortsetzen ließen – mögen genügen, um zu zeigen, wie wichtig unser Kollege mit seinem hohem Engagement für unsere Schule war.

Annäherung; 3. Schritt
Versuch einer Charakterisierung

Achim Bolz war nach außen manchmal ein Rauhbein, besaß aber einen sehr gefühlsbetonten, manchmal sogar sentimentalen Kern (verwiesen sei hier z.B. auf seine Musikliebe und die Freude am Bergsteigen).

Er war ehrgeizig, was seine von ihm stets selbst gesteckten Ziele anbelangte, sei es in der Welt der Naturwissenschaft oder auf den Feldern seiner übrigen Steckenpferde. Sein Weltbild war von der Physik geprägt, nicht von der Metaphysik, von der Empirie und nicht von der Transzendenzmöglichkeit. Er glaubte an das, was sich beweisen, erklären ließ.

Dennoch scheint mir gerade seine Faszination durch die Astronomie in jenem Sinne deutbar zu sein, wie sie ein Marquis de Laplace am Ende des 18. Jahrhunderts in seiner „Darstellung des Weltsystems“ formulierte:

In ihrem ganzen Umfange betrachtet ist die Astronomie das schönste Denkmal des menschlichen Geistes, die edelste Urkunde seines Verstandes. Verführt durch die Täuschungen der Sinne und die Eigenliebe hat er sich lange Zeit als den Mittelpunkt der Bewegungen der Gestirne betrachtet...Dann sah sich der Mensch auf einem kleinen, in dem großen Umfange des Sonnensystems, welches selbst nur ein unmerklicher Punkt in dem unermesslichen Weltraume ist, kaum bemerkbaren Planeten. Die erhabenen Resultate, wozu diese Entdeckung ihn geführt hat, können ihn wegen des kleinen Platzes, den sie ihm im Weltall anweiset, hinreichend trösten.

Im biographischen Teil der Ansprache wies ich auf die stets glänzenden Noten des Verstorbenen hin; sie waren nicht zuletzt Ergebnis seiner Leistungsbereitschaft, seiner eigenen Ansprüche, die er als Maßstab an sich und  auch an andere anlegte,  Von einem Physikkollegen bekam ich auch den zweiten Zitathinweis, der seiner Meinung nach auf seinen guten Bekannten zu passen schien. Ich schließe mich dieser Auffassung an.

In einer biographischen Betrachtung aus dem Jahre 1742 über den Astronom Halley heißt es:

Er besaß die Eigenschaften, die nötig waren, ihm die Zuneigung derjenigen zu sichern, die ihm ebenbürtig waren. Dazu gehörte an erster Stelle, dass er sie schätzte; und das ist für einen warmen und begeisterungsfähigen Menschen nur natürlich. In ihrer Gegenwart strahlte er vor lauter Freude darüber, sie zu sehen, herzliche Wärme aus. In seinen Geschäften war er offen und ... ehrlich in seinen Urteilen...“.

Diesem Zitat sei nichts mehr hinzuzufügen.

Ihnen, Frau Bolz, und Ihrer Familie wünsche ich, dass Sie heute von Ihrem Manne in der trauernden Gefasstheit Abschied nehmen können, die sich aus seinem halbjährigen Leidensweg ergeben hat.